ESSAY-BRIEF

Essay-Brief  Oktober 2018

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Die Stille, die du bist und der Sinn unseres Erdenlebens – Teil 3

© Bernd Helge Fritsch

 

Bürger zweier Welten

Wir Menschen sind Bürger zweier Welten. Mit unserem Leib und seinen Sinnen gehören wir der Formenwelt an. Als Bewusstsein sind wir göttliche Wesen jenseits aller Formen, jenseits von Raum und Zeit, jenseits von Geburt und Tod.

Mit den fünf Sinnen unseres Körpers nehmen wir die Welt der Formen wahr. Diese Formen erscheinen sodann auf der Bühne unseres Bewusstseins.

Unser Bezug zur Formenwelt

In der Regel gesellen sich zu jeder Sinneswahrnehmung sofort unsere Seelenkräfte (Denken, Erinnern, Fühlen und Wollen) hinzu. Man kann sagen, sie „be- und ver-arbeiten“ unsere sinnlichen Wahrnehmungen.

Mit Hilfe dieser Werkzeuge werden alle Wahrnehmungen automatisch als wichtig oder unwichtig, als angenehm oder unangenehm, als gut oder böse, als willkommen oder abzulehnen beurteilt.

Unsere Seelenkräfte bilden auf diese Weise den „Motor“ unseres Erden-Daseins. Sie dirigieren unsere Aufmerksamkeit. Sie bestimmen unsere Vorlieben und Abneigungen. Sie vermitteln uns positive und negative Gefühle. Sie entscheiden wie wir auf unser Umfeld reagieren.

Unsere Seelenkräfte verwandeln unsere Sinnes-Wahrnehmungen in individuelles „Leben“. Sie verursachen und steuern, was auf der Bühne unseres Bewusstseins vor sich geht. Erst durch unser Denken, Fühlen und Wollen kommt das Drama oder Lustspiel unseres Lebens in Bewegung.

Die Welt der Erscheinungen – eine erträumte Welt

Dabei sollte uns bewusst sein, dass all diese Schauspiele, die wir auf der Bühne unseres Bewusstseins wahrnehmen, nur einer „bedingten Realität“ entsprechen. Sie sind ebenso wirklich und zugleich unwirklich, wie das Geschehen auf einer Schauspielbühne oder in einem Kino.

Wie ein Drehbuchautor den Inhalt seines Filmes aus seiner Phantasie heraus entstehen lässt, so kreiert sich jeder Mensch, meist ohne sich dessen bewusst zu sein, seine eigene Welt. Mit welchen „Augen“, mit welcher inneren Verfassung er sich und die Welt betrachtet, so erscheint sie ihm.

So entscheidet jeder für sich, wer er ist, in welcher Welt er lebt und welche Gefühle sein Dasein bestimmen. Der eine betrachtet sich als sterbliches und fehlerhaftes Wesen. Er identifiziert sich mit seinem Körper, seinen Erlebnissen und Besitztümern. Der andere ist sich seines göttlichen und unsterblichen Seins bewusst. Der eine wird von Ängsten und Sorgen geplagt, der andere wird getragen vom Vertrauen in die Vollkommenheit des Seins. Der eine ist vorwiegend mit sich, mit seinen Wünschen und Ego-Problemen beschäftigt. Er liebt im Grunde weder sich noch die anderen und wundert sich über sein Unglücklich-Sein. Der andere liebt die Menschen und die Natur und ist glücklich weil er liebt.

Im sogenannten „wirklichen Leben“ erkennen wir in der Regel nicht, dass die äußere, uns umgebende Welt genauso durch das gemeinsame Wirken unserer Seelenkräfte geformt wird, wie ein Kinofilm durch die gemeinsame Arbeit des Drehbuch-Autors und des Film-Regisseurs.

Daraus folgt wie wichtig es ist unser Denken, Erinnern, Fühlen und Wollen stets mit großer Aufmerksamkeit beobachten, denn diese Kräfte gestalten von Augenblick zu Augenblick unser Erdenleben und unser Schicksal. Doch die überwiegende Mehrzahl der Menschen macht sich nur selten bewusst, was „jetzt“ in ihrer Seele, verursacht durch die Seelenkräfte, vor sich geht. Und so treibt ihr Schicksalsboot ohne Steuerung, hilflos den Stürmen und Wellen des Lebens ausgesetzt, über das Meer des Erdendaseins. Denn sich selbst überlassen funktionieren unsere Seelenkräfte nach Jahrtausenden-alten Ego-Mustern, die uns seelisch krank machen und unliebsames Karma verursachen.

Frage dich daher im Laufe jeden Tages wiederholt: „Was geht jetzt in mir vor?“ Wenn du dir diese Frage durch Wochen und Monate immer wieder stellst, wird dir diese Innenschau, diese Selbstbeobachtung zu einer selbstverständlichen Gewohnheit. Damit beginnt für dich ein neues bewusstes und selbstbestimmtes äußeres Leben und inneres Sein.

Verlust des Bezugs zur geistigen Welt

Das Geschehen eines Kino-Films vermag uns so mitzureißen und zu fesseln, dass wir vorübergehend die Realität (dass wir im Kino sitzen und das Filmgeschehen nicht wirklich stattfindet) aus den Augen verlieren. Doch letztlich sind wir uns der Unwirklichkeit des Kino-Schauspiels bewusst.

In gleicher Weise befinden sich die meisten Menschen im täglichen Leben so sehr unter dem hypnotischen Einfluss der Erscheinungen der Formenwelt, dass sie das Wissen und Fühlen um ihre eigentliche Realität, um ihre Herkunft, um ihre Göttlichkeit „vergessen“ haben.

Doch im Unterschied zum Erleben einer Theater- oder Film- Vorführung, erkennen Menschen oft ihr ganzes Leben hindurch nicht, dass sie in einer vergänglichen Phantasiewelt leben.

Es fehlt ihnen ihr Bezug zur geistigen, formlosen Welt. Sie sind nicht verbunden mit ihrem unvergänglichen Wesen mit der Weisheit, Liebe und Glückseligkeit ihres allumfassenden Seins. Kurzum: Sie wissen nicht wer sie sind. Diese Unwissenheit ist die Ursache ihres Ego-Verhaltens, ist die Ursache all ihrer Ängste, Sorgen und Leiden.

Erst wenn sie ihre geistige Wesenheit, ihre Göttlichkeit wahrnehmen, können sie aus dem Traum ihrer Phantasiewelt erwachen.

Glücksuche und Traurigkeit

Fast alle Menschen hoffen in den Formen der äußeren Welt, in den Bildern, die uns von unseren Sinnen und unseren Seelenkräften vermittelt werden, ihr Glück zu finden und laufen so oft ihr ganzes Leben vergeblich hinter Illusionen hinterher. Immer wieder keimt für sie die Hoffnung auf: „Jetzt hab ich´s! Diese Beziehung, diese berufliche Veränderung, dieses äußere Ziel wird mich anhaltend zufrieden und glücklich machen!“

Jedoch das vergängliche Spiel der Formen ist grundsätzlich ungeeignet uns inneren Halt, Frieden oder gar dauerhafte Glückseligkeit zu vermitteln.

Menschen die ihre göttliche, spirituelle Wesensseite nicht kennen, nicht empfinden, nicht leben, werden, ob sie es bemerken oder nicht, beständig tief im inneren ihrer Seele von einem Gefühl der Enttäuschung, der Traurigkeit, der Angst und der Unruhe beherrscht. Sie leiden fortlaufend unter der Empfindung, dass ihnen zu ihrem wahren Glück etwas fehlt. Doch sie wissen nicht woran es ihnen mangelt. Das äußert sich oft in Depressionen, mangelnder Lebensfreude und körperlicher Erkrankung.

Um ihre negativen Gefühle zu verdrängen neigen sie dazu, sich durch zahllose Aktivitäten, wie durch übermäßige Arbeit, durch zahlreiche Reisen oder durch sonstigen übermäßigen Konsum aller Art zu betäuben. Doch je mehr sie sich in den Formen der Welt verlieren, desto unglücklicher werden sie.

Meist haben sie sich an ihr mangelndes Glücklich-Sein so gewöhnt, dass sie es gar nicht mehr bemerken. Fortwährend beschäftigt, oft im Stress befindlich und mehr oder minder unerfüllt zieht für sie ein Tag nach dem anderen vorüber. Am ehesten könnte ihnen bewusst werden in welchem verlorenen Seelenzustand sie sich befinden, wenn sie sich an die Freudigkeit und Leichtigkeit ihre Kindheitstage erinnern.

Das Himmelreich in dir

Seit Jahrtausenden lehren jene, die selbst Befreiung erlangt haben, dass alles Glück, alle Weisheit und alle Liebe nur in dir selbst gefunden werden kann. „Das Himmelreich ist in dir“ (Luk. 17,21) – und nirgendwo sonst anzutreffen. Allerdings sobald du die Göttlichkeit, das Glück in dir gefunden hast, tritt das erstaunliche Phänomen auf, dass sich auf wundersame Weise die Welt um dich verwandelt. Auf einmal wird für dich überall Vollkommenheit, Schönheit und Freude sichtbar.

Deshalb die Empfehlung: „Suchet zuerst das Reich Gottes und alles andere wird dir hinzugegeben!“ (Mat. 6,33)

Wie aber finde ich dieses „Himmelreich“ in mir?

Meister Eckehart der große Mystiker, Theologe und Philosoph gibt uns dazu schlichte Anleitungen. Er erklärt vorerst:

„Es gibt für den Menschen zweierlei Geburt eine in die Welt

und eine aus der Welt, das heißt geistig in Gott“

 

Diese „Geburt in Gott“ wird von den Meistern auch als „Erleuchtung“, „Befreiung“ oder als „Selbst-Verwirklichung“ bezeichnet. All diese Namen weisen darauf hin, dass es im Menschen „Licht“ wird und dass er sich als befreit von allen Sorgen und Problemen fühlt, sobald er die Vollkommenheit von allem Sein und seine eigene Göttlichkeit nicht nur intellektuell erfasst, sondern in sich erleben darf.

Erwarte dir dabei kein sinnlich wahrnehmbares „Licht“. Denn was du bist ist viel feiner als Licht, ist jenseits aller Begreif- und Beschreib-barkeit. Dennoch, „Erleuchtung“ zu erlangen, „Die Geburt Gottes in dir“ zu vollziehen, ist ein sehr schlichter Vorgang. Er ist so einfach, dass kaum jemand bereit ist ihn konsequent zu verwirklichen. Wie bereits in den beiden letzten Essay-Briefen erklärt, genügt es einfach nur „Still-zu-Werden“ und „In-sich-hinein-zu-Horchen“. Keine Rituale, keine Gebete, keine körperlichen Übungen, keine Selbst-Kasteiungen, kein Guru, keine Visionen sind dazu erforderlich.

Befreiung ist deshalb so einfach zu erlangen, weil wir dazu keine besonderen Fähigkeiten benötigen und keine besonderen Leistungen erbringen müssen. Denn im Grunde unserer Seele ist jeder einzelne Mensch bereits vollkommen, ist er stets ein göttliches Wesen. Doch was ihm fehlt, ist der Zugang zu sich selbst, ist reines, von Gedanken befreites Bewusstsein.

Wie Meister Eckhart dazu ausführt, ist zur „Geburt in Gott“ nur nötig von allen Fixierungen auf die Welt der Formen loszulassen. Er erläutert dies mit den Worten:

Leer sein aller Kreaturen ist Gottes voll sein,

und voll sein aller Kreaturen ist Gottes leer sein.

Soweit du ausgehst aus allen Dingen,

so weit, nicht weniger und nicht mehr,

geht Gott ein mit all dem Seinen.

 

Erst wenn dein Ego-Ich mit seinen Ängsten und Sorgen, mit seinem ständigen Suchen und Wollen schweigt, entsteht Raum in dem dein Gott-Sein sich entfalten kann. Daher fügt Eckhart hinzu:

Nimm dich selber wahr und wo du dich findest,

da lass von dir ab. Das ist das allerbeste.

 

Du kannst die Gottheit in dir nur erfahren, wenn du zumindest zeitweilig bereit bist von allen Gedanken loszulassen. Zumindest einmal am Tag solltest du dir für ungefähr 20 Minuten eine „Auszeit“ von deinen üblichen Aktivitäten nehmen. Zieh dich an einen ruhigen Ort zurück! Sodann verweile im „Nichts-Wollen“, im „Nichts-Erwarten“, im „Nicht-Denken“, im „Nichts-Sein“. Genieße nur zu schauen, nur gegenwärtig zu sein.

Achte in dieser besonderen Zeit sorgsam darauf, was in dir vor sich geht! Was immer sich in dir ereignet, beurteile es nicht, bleib gelassen, verhalte dich wie ein außen stehender, unbeteiligter und liebevoller göttlicher Beobachter…

Je besser es dir in dieser „Auszeit“ gelingt still zu werden, desto leichter fällt es dir sodann diese Gegenwärtigkeit, dieses Gefühl der Befreiung, dieses „Von-Gott-voll-Sein“ auch in deinen übrigen Tagesablauf hinein zu tragen.

Fortsetzung folgt

Mit herzlichem Gruß

Bernd